„Es ist hart an der Schmerzgrenze“

WNZ vom 24.02.2021
Je länger der Lockdown dauert, desto mehr fürchten die Sportschützen Aktiven-Abmeldungen

Von Sven Jessen

DILLENBURG/WETZLAR. Wenn am kommenden Sonntag die Bezirksschützenmeister mit der Geschäftsführung des Hessischen Schützenverbands konferieren werden, dann weiß Dunja Boch, welche Themen sie platzieren wird. Die Schützen im Bezirk Lahn-Dill bewegt zurzeit einiges. Mitte der vergangenen Woche haben Vereinsvertreter aus dem Schützenbezirk Lahn-Dill ihrer Bezirksschützenmeisterin im Rahmen eines Video-Stammtischs etliche Impulse auf den Weg gegeben.

Im vierten Monat des Lockdowns und nach bald einem Jahr mit Schießsport, der über Ansätze kaum hinausgekommen ist, sieht Dunja Boch die Geduld mancher Aktiver langsam am Ende. „Es ist hart an der Schmerzgrenze“, gibt sie das Stimmungsbild wieder, das einige der 17 Teilnehmer am Video-Stammtisch zeichneten.

„Alle sehen die Schwierigkeit, Aktive und Ehrenamtler bei der Stange zu halten. Bisher gibt es bei den Aktiven und was die Mannschaftsmeldungen zur Feuerwaffenrunde betrifft kaum Abmeldungen. Aber wenn wir im April nicht starten werden, dann wird einiges einbrechen“, befürchtet die Bezirksschützenmeisterin.

Außerdem würde ein großer Teil der Sportschützen ohne laufenden Sportbetrieb vor dem Problem stehen, ein Bedürfnis für den erlaubnispflichtigen Waffenbesitz nicht nachweisen zu können. Sowohl der Erwerb als auch der Besitz der Sportgeräte unterliegt dem Waffengesetz. In Paragraph 14 ist festgelegt, welche Mindestaktivitäten im Sportbetrieb nachgewiesen werden müssen.

Bedürfnis nach einer Waffe ist an Sportangebot gekoppelt

Dunja Boch sagt: „Corona erschwert diesen Bedürfnisnachweis immens. Das ist ein Thema, um das sich der Verband kümmern muss. Er muss sich beim Gesetzgeber einsetzen. Zumindest sollte er dort Verständnis für die Situation wecken. Wir wollen ja wieder mit dem Schießen beginnen.“

Zurzeit bedeutet die Beschäftigung mit den Themen Trainings- und Wettkampfplanung für Amateurschützen aber vor allem, dass Events abgesagt oder von Monat zu Monat verschoben werden. Die Liga-Wettbewerbe, die im Herbst und Winter hätten stattfinden sollen, wurden nach der ersten oder zweiten Runde eingefroren oder abgesagt. Für die Bezirksmeisterschaften gibt es inzwischen die dritte Terminplanung. Der Monat der Hoffnung heißt Mai.

In vielen Vereinen kommt zurzeit aber nicht einmal ein Trainingsbetrieb zustande. Denn: Während eines Trainingsabends finden normalerweise mehrere Schützen auf einem Schießstand Platz. Auf Kleinkaliberständen sind es oft fünf oder sechs, auf Ständen für Luftdruckwaffen bis zu zehn. Zurzeit dürften unter Beachtung eines Hygienekonzepts aber nur zwei gleichzeitig auf den Stand. Aber: Der zweite Schütze muss für eine qualifizierte Aufsicht sorgen. Das bedeutet: Er muss dafür sorgen, dass die Sicherheitsbestimmungen eingehalten werden, und er muss im Notfall Erste Hilfe leisten können. Auch hier spielt die Waffengesetzgebung in die Praxis hinein – ein fundamentaler Unterschied beispielsweise zu einer Sportart wie Tennis, in der zurzeit zwei Spieler oder ein Spieler und ein Trainer einfach loslegen dürfen und in einer Individualsportart einen Rahmen vorfinden, der dem Gewohnten bisweilen schon zu 100 Prozent entspricht.

„Dass es ein Verein schafft, unter diesen Umständen mehr als vier Schießzeiten in der Woche zu organisieren, halte ich für nicht realistisch“, sagt Dunja Boch. Alle Interessenten durch dieses Nadelöhr zu schleusen – undenkbar. Viele Vereine haben es bleiben lassen.

Boch benennt ein weiteres heißes Thema, dass sie in die Videokonferenz mit der Geschäftsführung des Hessischen Schützenverbands nehmen wird: „Kosten, Kosten, Kosten.“ Der Verband hat Geld eingezogen, wenn auch nicht im maximal befürchteten Umfang. Die neue Umlage von 4,50 Euro je Mitglied über 21 Jahre sieht Dunja Boch aber nur von 2021 auf 2022 verschoben. Denn auf Hessenebene konnte noch keine Delegiertenversammlung darüber beschließen. Im Gegensatz dazu wünscht sich mancher Verein eine Aussetzung der Beiträge für die Zeit, in der kein Sport stattfinden darf.

Den nächsten Online-Stammtisch plant Dunja Boch für die Zeit nach Ostern. Dann vielleicht schon mit der Perspektive, in absehbarer Zeit mit einem Wettkampfprogramm starten zu können.

DIGITAL-FÖRDERUNG

Bis zu 15 000 Euro je Verein: Einen gewissen Raum nahm beim Online-Stammtisch des Schützenbezirks Lahn-Dill außerdem das Thema Digitalisierung ein. Die Hessische Staatskanzlei stellt in diesem Jahr in der neuen Runde des Programms „Ehrenamt digitalisiert“ jedem eingetragenen Verein eine Förderung von bis zu 15 000 Euro in Aussicht. Finanziert wird beispielsweise die Anschaffung von Hard- oder Software. Die Förderrichtlinien sind unter https://digitales.hessen.de zu finden. (jes)